Die Geschichte der „Villa Johanna“ in Stadt Crailsheim

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Die Geschichte der „Villa Johanna“

Erbauer der Villa Johanna: Die jüdische Crailsheimer Familie Rosenfeld

Im Jahre 1900 ließ ein Mitglied der jüdischen Familie Rosenfeld, Dr. med. Adolf
Rosenfeld, ein prächtiges Jugendstilhaus in der Bahnhofstraße errichten. Die
Rosenfelds waren eine alteingesessene Crailsheimer Familie gewesen; ihr
Ahnherr war Moses Abraham Rosenfeld, geboren 1781 in Crailsheim. Dr. Adolf
Rosenfeld, geboren 1858 in Crailsheim, sein Enkel, war der erste jüdische Bürger
der Stadt, der es zu akademischen Ehren gebracht hatte. Sein Haus, das Praxis
und Wohnung enthielt, dokumentierte damit auch den Aufstieg der einstmals
verachteten jüdischen Bevölkerungsgruppe. Noch heute ist der Name „Villa
Johanna“ in Stein gehauen über dem größten Fenster des Vorder-Erkers zu
sehen. Selbst das Dritte Reich, als die Kreisleitung der NSDAM das Haus für ihre
Zwecke umfunktionierte, überstand die Inschrift. Allerdingst konnte sich Johanna
Rosenfeld damals nicht lange an dem schön eingerichteten Neubau erfreuen; sie
starb bereits 1904 im Alter von 40 Jahren und hinterließ drei unmündige Kinder.

Ehrungen des Menschen Dr. Adolf Rosenfeld

Im März 1908 wurde Dr. Adolf Rosenfeld als Nachfolger von Dr. Drachter
Oberamtswundarzt. Im gleichen Jahr hielt er im Gewerbeverein einen Vortrag mit
Lichtbildern, welcher der Crailsheimer Photograph Ehmert vorführte, über seine
Mittelmeereise im Jahr 1906. Im voll besetzten Saal des Gasthauses zum Falken
kam es am Schluß des Vortrags zu einer besonderen Ehrung des Referenten:
„Der Aufforderung des Vorstands des Gewerbevereins, Kaufmann Schulz, sich
zum Zeichen des Dankes gegenüber dem Herrn Doktor von den Sitzen zu
erheben, wurde von den Anwesenden gerne entsprochen.“ So brachte ein
Crailsheimer Bürger einen Hauch von Welt in die kleine Stadt, was dankbar
anerkannt wurde. Im Ersten Weltkrieg gründete und leitete Dr. Rosenfeld die
Freiwillige Sanitätskolonne vom Roten Kreuz und wurde wegen seiner Verdienste
um die Betreuung der Verwundeten zum Sanitätsrat ernannt.

Der zweite Besitzer der Villa Johanna: Dr. Max Königsberger – Jude, Arzt und Bildungsbürger

Als Dr. Rosenfeld 1918 starb, war sein Sohn Hermann […] noch zu jung, um
seinem Vater nachfolgen zu können. (Hermann Rosenfeld betrieb nach der
erzwungenen Emigration eine Arztpraxis in der USA). Deswegen erwarb der 1886
in Ostpreußen geborene Dr. Max Königsberger die Praxis und kaufte die „Villa
Johanna“. Dr. Königsberger, praktischer Arzt und Spezialarzt für Chirurgie und
Frauenkrankheiten, erfreute sich wegen seiner Tüchtigkeit und seiner oftmals
kostenlosen Behandlungen bei der Bevölkerung großer Beliebtheit. Auch in der
israelitischen Gemeinde engagierte er sich, so war er sein 1930 Mitglied des
Israelitischen Vorsteheramts.

Das Streben nach Wissen und Bildung

Welchen hohen Stellenwert in dem gutbürgerlichen haus des Arztes das
Familienleben und das Streben nach Wissen und Bildung eingenommen haben,
das läßt sich aus einem Brief ersehen, den Hannelore Königsberger, die 1919 in
Crailsheim geborene Tochter von Dr. Max Königsberger, anfangs der achtziger
Jahre an eine ehemalige Jugendfreundin gerichtet hat. Darin stellte sie fest:
„Neben einem guten Elternhaus ist eine gute Schule das größte Privileg, das
einem jungen Menschen zuteil werden kann.“ Ausdrücklich lobte sie den
​„ausgezeichneten“ Unterricht an der Crailsheimer Realschule mit
Lateinabteilung, der ihr umfassende Kenntnisse in Latein, Geschichte und
deutscher Literatur vermittelt habe.

Bildung ist das Einzige, was bleibt – Alles andere kann über Nacht verloren gehen

Aber schon 1934 habe sie die Schule in Crailsheim verlassen und die
Chamissonschule in Berlin besuchen müssen. Sie habe während ihrer Emigration
in England eine Magisterarbeit über Hölderlin geschrieben und ihn mit seinem
englischen Zeitgenossen Shelly verglichen – „man träumt dabei von der Neckar-
Landschaft und fragte sich, ob man sie je wiedersehen würde“. So wurde geistige
Bildung geradezu überlebenswichtig: „Wir alle, die wir im 20. Jahrhundert
geboren sind, haben erfahren, daß man nur das wirklich besitzt, was man gelernt
hat und was man in sich trägt. Aller greifbarer Besitz, sei es ein viele
Jahrhunderte altes Familiengut, sei es das Sparkonto einer einzigen Generation,
kann über Nacht verloren gehen …“.

Der dritte Besitzer der Villa Johanna: Die Stadt Crailsheim

1936 erwarb die Stadt Crailsheim das Haus in der Bahnhofstraße von Dr.
Königsberger für ca. 40 000 Reichsmark, um darin die Reichsarbeitsdienstgruppe
264 unterzubringen. Mit bürokratischer Sorgfalt werden im Ratsprotokoll die
Räume des Hauses aufgezählt und die Einzelheiten der Finanzierung dargestellt.
In der Crailsheimer Öffentlichkeit galt Dr. Königsberger als ein wohlhabender
Mann, dem trotz Verlust seiner beruflichen Stellung kein wirtschaftlicher Schaden
zugefügt worden sei.

Verlust des gesamten Vermögens des Dr. Max Königsberger

Diese das Gewissen beruhigende Annahme widerlegte Dr. Königsberger in einem
Schreiben aus dem Jahre 1947, in welchem er den ungenierten Zugriff deutscher
Behörden auf das Vermögen jüdischer Auswanderer beschrieb. Sein gesamtes
Privatvermögen „von weit über 100 000 M“ sei vom Deutschen Reich einbehalten
worden, so daß er sein Vaterland mit „3,89 Dollar“ verlassen mußte. Besonders
schwer habe ihn getroffen, daß „die Gestapo auch mein Lift (= Gepäck für die
Überfahrt nach den USA) mit allen meinen persönlichen Belangen hat
auctionieren (= versteigern) lassen“. Sein Einsatz für Deutschland im Ersten
Weltkrieg, „wofür ich das E. K. ( = Eisernes Kreuz) und den Mayerischen
Militärverdienstorden erhielt“, habe nichts mehr gegolten.

„Der Dank für alles, was ich getan habe.“

Die letzten Dienstjahre in Crailsheim – er durfte noch bis 1935 ohne
Kassenzulassung praktizieren, weil er Frontkämpfer gewesen war – behielt Dr.
Königsberger in schlechter Erinnerung: „Wenn die Ärzte der N.S.D.A.P. – ich
brauche hier keine Namen zu nennen – zu faul und zu bequem waren, des Nachts
die Patienten zu besuchen“, sei er „10-15 Kilometer in die Umgebung“
hinausgefahren. Schließlich habe er in den USA „unter nicht sehr günstigen
Umständen“ ganz neu anfangen müssen. Die Behandlung, die ihm sei 1933 bis
zu seiner Überfahrt zuteil wurde, kommentierte Dr. Königsberger nicht ohne
bittere Ironie: „Das war der Dank für alles, was ich geleistet habe, … und für
alles, was ich den Patienten umsonst getan habe.“

Der vierte Besitzer der Villa Johanna: die NSDAP

​1939 bezog die Kreisleitung der NSDAP die „Villa Johanna“.

Nachkriegszeit

Das Haus überdauerte den Krieg und wird bis heute als Wohnhaus genutzt.
Zitiert nach: Technau, Giselher:
„Das war der Dank für alles, was ich geleistet
habe.“ Vom Handeln und Leiden jüdischer Bürger im Geschäfts- und
Gewerbeviertel der ehemaligen Haller Vorstadt
. In: Jüdisches Leben in Crailsheim.
Der jüdische Friedhof. Hrsg. Karl W. Schubsky, Heinz Illich u.a. Crailsheim, 1996.
Hier S. 50-55.